„Bäume stellen keine Fragen“- ein Interview mit Forstgenetikerin Melanie Zacharias

Melanie Zacharias ist Mentorin bei CyberMentor und deutsche Forstgenetikerin, die derzeit an der Université Laval in Québec (Kanada) als Postdoc arbeitet. Sie erforscht, wie sich Bäume an ändernde Klimabedingungen anpassen. Im Interview mit CyberMentor spricht sie über ihre Arbeit als Forstgenetikerin, ihren Alltag in Kanada und warum sie ihr Forschungsgebiet nur weiterempfehlen kann.

Melanie Zacharias ist seit 2022 Mentorin bei CyberMentor und gibt dort ihre Erfahrungen an MINT-begeisterte Mädchen weiter.

Guten Tag Melanie, wo treffen wir dich denn gerade an?

Ich bin in Québec City, in der Provinz Québec in Kanada und gerade bin ich zu Hause.

Zum Einstieg drei schnelle Fragen, die du bitte möglichst mit nur einem Wort beantwortest.

1) Was war dein Lieblingsfach in der Schule?

Biologie (lacht).

2) Wenn du einen MINT-Bereich wählen müssest, welchen nimmst du?

Naturwissenschaften.

3) Lieber im Wald oder im Labor/Bibliothek/Büro?

Am liebsten bin ich eigentlich in der Natur, bei der Feldarbeit. Dann im Labor und dann im Büro.

Du bist Forstgenetikerin. Was ist das?

Wie der Name sagt, beschäftigt man sich mit der Genetik von Bäumen oder Wäldern – also Ökosystemen im größeren Sinne. Wir versuchen zum Beispiel herauszufinden, welche Gene das Baumwachstum beeinflussen oder welche für Frost- und Trockentoleranz verantwortlich sind. Wir schauen uns an, wie Bäume genetisch ausgestattet sein müssen, um sich besonders gut an die Klimaveränderungen anpassen zu können.

Wie wird man Forstgenetikerin?

Ich habe an der TU Dresden Forstwissenschaften im Bachelor und dann auch im Master studiert und habe mich dabei auf Biodiversität und Organismen spezialisiert. Es gibt ja verschiedene Profillinien und in der Bachelor- und Masterarbeit suchte ich mir schon Genetik-Themen raus, da Genetik jetzt nicht gerade ein großer Teil des Forstwirtschaftsstudiums ist.

Nach dem Studium war ich ein Jahr in Neuseeland und habe an der dortigen Uni ein Praktikum gemacht, um Einblicke in den Forschungsalltag zu bekommen. Danach habe ich meine Doktorarbeit in Forstgenetik geschrieben. Mein Thema: „Wie passt sich die Weißfichte an bestimmte Klimabedingungen an?“ Dafür war ich auch in Alaska.

So bin ich da reingekommen. Aber ich habe auch Kolleg*innen, die Molekularbiologie oder etwas Ähnliches studiert haben und dann in die Forstgenetik gekommen sind. Es gibt nicht den einen Weg.

Eine stark vergrößerte Aufnahme von Jahresringen: Sie geben Melanie Zacharias Aufschluss über die schwankenden Bedingungen unter denen der Baum gewachsen ist.

Du erforschst, wie sich Bäume an ändernde Klimabedingungen anpassen. Was interessiert dich an diesem Thema?

Einerseits mag ich einfach Bäume (lacht). Ich fühle mich im Wald sehr wohl. Bäume sind einfach faszinierende Organismen, weil sie so unglaublich lange leben und dabei an einem Standort stehen. Ich finde, wenn man mit deren Genetik arbeitet, lüftet man sozusagen die kleinen Geheimnisse der Bäume – so fühle ich mich zumindest manchmal. Man findet Sachen heraus, die man so nicht sieht: Zum Beispiel erfährt man, wo die Refugien – also die Rückzugsorte der Ökosysteme – in der Eiszeit waren oder wo eine Population eigentlich herkommt. Man sieht auch, wie sehr Bäume verwandt sind mit anderen, die vielleicht nicht gerade nebenan wachsen und wie viele Gene diese Pflanzen dann austauschen. Ich finde es einfach spannend, all diese Dinge herauszufinden.

Wie machen Bäume all das?

Es gibt das Konzept der phänotypischen Plastizität: Bäume passen sich sozusagen mit ihrem äußeren Erscheinungsbild an. Ich finde das so immer etwas abstrakt formuliert, deswegen versuche ich es mal mit einem Beispiel an uns Menschen darzustellen: Wenn wir in die Sonne gehen, wird unsere Haut dunkler oder wir bekommen einen Sonnenbrand. Dann ändert sich sozusagen unser Erscheinungsbild – in diesem Fall unsere Hautfarbe. Aber dabei ändern sich ja unsere Gene nicht. Das ist phänotypische Plastizität.

Das können Bäume viel besser als wir Menschen, weil sie es müssen. Wir Menschen können uns einfach was anderes anziehen oder wo anders hingehen. Ein Baum hingegen steht zum Teil 200 Jahre an einem Standort und kann dann zum Beispiel seine Blätter an die Lichtbedingungen ziemlich gut anpassen. So schafft er kurzfristig phänotypische Veränderungen.

Langfristiges Anpassen funktioniert über Selektion. Beispielsweise überleben in einem trockenen Sommer die Bäume, die trockentoleranter sind. Die anderen sterben. Die überlebenden Bäume produzieren dann wieder Nachwuchs und geben so ihre trockenresistenteren Gene in die nächste Generation weiter.

Welche Arten sind besonders anpassungsfähig?

Arten, die eine hohe genetische Diversität haben. Das sind solche, bei denen viel genetisches Material da ist, woraus ausgewählt werden kann. Außerdem sind es Arten, die eine gute phänotypische Plastizität haben. Hingegen sind Arten, von denen es nur noch wenige Bäume gibt, stärker gefährdet und können sich nicht so gut anpassen. Die Weißfichte in Nordamerika – an der ich im Rahmen meiner Doktorarbeit geforscht habe – ist zum Beispiel besonders anpassungsfähig. Sie hat ein sehr großes Verbreitungsgebiet mit verschiedenen Umweltbedingungen. Auch Pappeln können ziemlich viel ab. Grundsätzlich kann man nicht pauschal sagen: Diese eine Art ist anpassungsfähig, die andere nicht. Man muss das immer ein bisschen im Kontext betrachten.

Die Wissenschaftlerin Melanie Zacharias im Wald
Melanie Zacharias ist als Forstgenetikern nicht nur im Labor sondern auch viel in der Natur unterwegs.

Wie wird der Wald in Zukunft aussehen?

Das ist die Frage (lacht). Dadurch, dass es jetzt schon mit vielen Hitzeperioden trockener wird, wird er eine höhere Trockentoleranz benötigen. Fichten in Reinbestände, wie wir es in Deutschland überwiegend haben, sind nicht die Zukunft. Das sieht man ja auch an den vielen Schäden im Wald und dem Waldsterben. Wir haben noch viele Reinbestände, aber es wird zu Mischbeständen gehen, weil ein Ökosystem mit verschiedenen Arten resilienter ist. Das heißt, es kann besser Extreme puffern. Es wird in diese Richtung gehen.

Aber die Veränderungen gehen ja auch nur bis zu einem bestimmten Punkt. Deswegen ist es unerlässlich, dass wir etwas gegen die Klimakrise tun. Der Wald kann aussehen, wie er möchte, nur gibt es den Punkt, an dem seine Anpassungsfähigkeit ausgeschöpft ist. Bäume leben sehr lange und wenn sich die Umwelt innerhalb eines Generationenzyklus zu schnell ändert und zu viele extreme Bedingungen vorherrschen, funktionieren die Anpassungsmechanismen nicht mehr.

Eine Frage zu deiner Lebenssituation: Warum hast du dich dazu entschieden, nach Québec (Kanada) zu gehen und wie ist das Leben dort?

Dadurch, dass in Kanada Forstwirtschaft ein riesiger Wirtschaftszweig ist – ich würde fast sagen so groß wie in Deutschland die Automobilindustrie – ist viel mehr Geld für die Forschung da. Ich finde, man ist dort auch vernetzter mit der Praxis. Ich habe in meiner Doktorarbeit schon viele wissenschaftliche Artikel von den Arbeitsgruppen hier gelesen und dachte mir: Da möchte ich gerne hin. Ich habe das Gefühl, dass in Deutschland die Forstgenetik noch etwas hinterherhinkt. Sie entwickelt sich gerade noch. Ich wollte die Chance nutzen, in einer Arbeitsgruppe zu arbeiten, bei der ich das Gefühl habe, dass ich dazulerne. Außerdem ist es für eine wissenschaftliche Karriere immer gut, wenn man mal für eine Zeit im Ausland gearbeitet hat, um zu zeigen, dass man unabhängig und selbstständig ist.

Für mich persönlich wollte ich auch einfach noch mal die Herausforderung angehen, alleine im Ausland zu sein und all die Erfahrungen machen, die so eine Entscheidung mit sich bringt. Kanada war dabei schon immer in meinem Kopf und dann hat sich das relativ einfach ergeben. Dann habe ich mir gedacht: Die Chance nutze ich jetzt einfach mal.

Wie sieht dein Alltag aus?

Der Forschungsalltag besteht zu einem großen Teil aus Datenanalyse vor dem Computer. Ich werte Daten aus und lese wissenschaftliche Artikel. Zwischendurch haben wir Meetings, in denen wir über unsere Ergebnisse, Probleme und Analysen reden. Im Sommer ist Feldarbeit geplant. Wir gehen raus und vermessen Bäume. Ab und zu geht’s auch ins Labor. Im Sommer ist auch eine Konferenz, die wir besuchen werden, um unsere Forschung vorzustellen und sich mit anderen Wissenschaftler*innen zu vernetzen.

In der Arbeit reden wir Englisch. Québec ist ja eine französische Provinz. Die Menschen dort sind auch stolz auf ihre Sprache und wollen, dass man sich die Mühe gibt, Französisch zu sprechen. Ich hatte in der Schule zum Glück schon ein paar Jahre Französisch und konnte beide Sprachen jetzt noch ein bisschen ausbauen. Mit drei Sprachen kann es dann schon mal vorkommen, dass ich Wörter verwechsle (lacht), aber ich finde es einfach eine gute Chance, eine zweite Fremdsprache zu lernen.

Ein weiteres cooles Projekt, das wir gerade machen, nennt sich „Wood ID“. Da geht es um die Nachverfolgbarkeit von Holz und darum, illegalen Holzeinschlag zu stoppen. Ich finde das Projekt interessant, weil man mit Leuten aus der Politik und der Praxis – also Leuten, die die Einfuhr von Holz kontrollieren – zusammenarbeitet. Das machen wir, weil es mit Naturschutz zu tun hat. Es geht aber trotzdem in eine andere Richtung als die Anpassungsprozesse. Wir versuchen, genetische Tools zu entwickeln, um dann sagen zu können: Dieses Holz kommt aus einem Schutzgebiet, zum Beispiel aus den Tropen. Dann kann der Verkauf gestoppt werden. Es ist noch mal ein Thema, dass in eine bisschen andere Richtung geht.

Wie lange hast du vor, in Kanada zu bleiben?

Mein jetziger Arbeitsvertrag geht eineinhalb Jahre und mal sehen, ob ich ihn verlängere. Ich werde abwarten, was es so für Möglichkeiten gibt. Langfristig gesehen, möchte ich aber schon wieder nach Deutschland zurückkommen.

Du schreibst in deinem Blog, dass du an Wissenschaftskommunikation interessiert bist. Was ist das, was macht deiner Meinung nach gute Wissenschaftskommunikation aus bzw. was gäbe es zu verbessern?

Ich bin gerade dabei, mich an diesem Thema auszuprobieren. Was gute Wissenschaftskommunikation ist, muss ich auch noch etwas genauer herausfinden. Ich stelle es mir so vor: Komplexe wissenschaftliche Themen möglichst einfach erklären, um sie auch für Menschen zugänglich zu machen, die nicht viel Kenntnisse in diesem Bereich mitbringen.

Ich möchte auch versuchen, die Angst vor dem Thema zu nehmen, denn ich habe schon das Gefühl, dass Genetik etwas negativ behaftet ist oder dass eine gewisse Abschreckung herrscht. Ich will einen Zugang schaffen. Vor allen Dingen möchte ich zeigen, dass Wissenschaftler*innen normale Menschen sind und wir nicht nur in unserer eigenen Welt im Labor leben.

Zelte von Wissenschaftlerinnen in der Natur
Malanie Zacharias und ihre Kolleg*innen übernachten bei ihren Forschungsreisen in der freien Natur.

Deswegen auch der Blog?

Ja, genau. Als ich mich entschieden habe, nach Kanada zu gehen, haben mir alle gesagt: „Oha krass, wie du das alles machst.“ Ich hatte das Gefühl, dass viele denken, man macht das alles so mit Links. Deswegen wollte ich mit meinem ersten Blogbeitrag zeigen, dass es ganz normal ist, schwere Zeiten durchmachen zu müssen und Selbstzweifel zu haben. Außerdem möchte ich mit dem Blog auch andere zu einem solchen Schritt ermutigen und ich möchte zeigen, dass man das nicht nur machen kann, wenn man besonders mutig ist.

Du bist Mentorin bei CyberMentor. Warum hast du dich dazu entschieden und welche Erfahrungen hast du mit unserem Programm gemacht?

Ich bin jetzt seit knapp einem Jahr dabei. Ich finde das Programm spannend, weil ich als junges Mädchen kein weibliches Vorbild hatte. Für mich gab es keine Frau, die beruflich unabhängig ihren Weg geht. Ich würde gerne genau das für andere junge Mädchen sein.

Außerdem ist es spannend, sich über das Programm zu vernetzen und mitzubekommen, wie die Schülerinnen in ihrem Alltag die MINT-Fächer so erleben. Man kann dabei Erfahrung in der Jugendbetreuung sammeln. Meine Erfahrungen mit CyberMentor sind positiv. Es ist spannend, sich über die Community-Funktion auszutauschen. Ich habe Menschen kennengelernt, mit denen ich sonst in meinem Alltag nicht in Kontakt gekommen wäre und habe viel Neues erfahren.

Ich habe mich auch für die nächste Runde angemeldet. Das ist jetzt wegen der Zeitverschiebung natürlich etwas schwieriger, aber da findet man schon Wege. Bei mir ist es übrigens sechs Stunden früher, also 9:30 Uhr.

Du hast jetzt Zeit, jungen Mädchen, die sich für MINT interessieren, von deinem Forschungsgebiet zu überzeugen. Los geht´s:

Okay (lacht). Wälder sind sehr wichtig für uns. Sie versorgen uns mit sauberer Luft, filtern und speichern unser Wasser. Allein deshalb ist es schön, sich mit deren Schutz zu beschäftigen und auch die ganzen Prozesse der Anpassung zu verstehen. Ich finde, es gibt einem ein Gefühl von einem tieferen Sinn, wenn man etwas tut, das Wälder als wichtige Ökosysteme schützt. Ganz praktisch ist auch: Bäume laufen nicht weg – wenn ich das jetzt mal mit Leuten vergleiche, die mit Tieren arbeiten. Die müssen zum Beispiel einfangen werden.

Insgesamt ist die Arbeit mit Bäumen einfach angenehm. Sie stellen keine Fragen. Die Forstgenetik-Community besteht aus sehr vielen netten und entspannten Menschen. Da dazuzugehören – zu Menschen, die sich um die Umwelt kümmern und in dem Bereich arbeiten – gibt mir ein gutes Gefühl.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s